Joseph Beuys - Kultur Schule
Bildungschancen für Jedermann
Ende der 70er-Jahre des 20. Jahrhunderts führt Horst Schwebel, späterer Leiter des Instituts für Kirchenbau und kirchliche Kunst der EKD, mit Joseph Beuys ein Gespräch über Kunst und Religion, das sich in faszinierender Weise um das Schaffen von Beuys, sein Verständnis des Christus-impulses und nicht zuletzt um die menschliche Kreativität an sich dreht. In der für ihn typischen Weise spitzt Beuys dabei zu, fordert seinen Interviewer und mit ihm den Leser heraus. Beuys führt dabei aus, dass der leidende Mensch kreativer ist als alle anderen Menschen um ihn herum. Denn das Leiden ist eine ganz wichtige Art der Hervorbringung, das Erleiden ... Im entschiedenen Erleiden der Sache entwickelt sich für die Person mindestens so viel wie in der entschiedenen Form des Tuns. Und Beuys ergänzt: Ich gehe davon aus, daß das Wissen um geistige Kräfte in jedem Menschen vorhanden ist. Ich mache nicht den Unterschied zwischen einem, der alles sehr gut kann, und einem, der gar nichts kann. Auch derjenige, der gar nichts kann, kann etwas. Ich meine, daß in jedem Menschen dieser Funke glüht. Kunst ist in diesem Sinne eine Einladung zur Entfaltung, die Aufforderung, die Kraft, die in uns steckt, auch hervorzubringen. Und das Handikap ist kein Handikap im klassischen Sinne, sondern die Herausforderung, die eigenen Fähigkeiten als Fragestellung in die Welt zu setzen.
Andreas Mertin
Alle Zitate aus: Schwebel, Horst (1979):
Glaubwürdig. Fünf Gespräche über heutige Kunst
und Religion mit Joseph Beuys, Heinrich Böll, Herbert Falken, Kurt Marti, Dieter Wellershoff. München: Kaiser.