Zum Abschluss der Wanderaustellung in Husum führte Rüdiger Otto von Brocken ein Interview mit der Kunsthistorikerin Dr. Nicola Heuwinkel sowie der beteiligten Künstlerin Sybille Loew:
In der Wander-Ausstellung „Kunst trotz(t) Ausgrenzung“, die die Diakonie Deutschland in Zusammenarbeit mit dem Museumsverbund Nordfriesland im Nordfriesland Museum. Nissenhaus und im Schloss vor Husum zeigt, geht es um aktuelle Themen wie Diskriminierung, Hass, Hetze und Gewalt. Dazu haben sich Künstler aus dem gesamten Bundesgebiet mit eindrucksvollen Statements positioniert und zugleich ein Zeichen gegen jede Form von Ausgrenzung gesetzt. Die Kunsthistorikerin Nicola Heuwinkel führt Menschen durch die vielschichtige Ausstellung, die am 20. August endet. Sie, aber auch eine der beteiligten Künstlerinnen, Sybille Loew, deren Installation im Schloss das Thema Einwanderung aufgreift, berichtet im Interview von den Reaktionen der Ausstellungsbesucher, aber auch von der Rolle der Kunst im gesellschaftlichen Geschehen.
Frau Loew, was hat Sie veranlasst, bei diesem Projekt dabei zu sein?
Loew: Meine Großeltern und Eltern waren innerdeutsche Flüchtlinge des Zweiten Weltkrieges. Und selbst sie haben sehr darunter gelitten, dass sie als Flüchtlinge ausgegrenzt wurden, obwohl sie "sogar" Deutsche waren. Die Schicksale von ausgegrenzten Menschen aus aller Welt haben mich nie kalt gelassen. Das war der Anlass für meine gestickte Installation zum Thema "Einwanderung".
Ihr Beitrag ist leise, aber besonders eindringlich. Was hat Sie zu dieser Installation veranlasst, die noch dazu auf ein altes und gerade im Norden weitverbreitetes Handwerk zurückgreift?
Loew: Das Sticken braucht viel Zeit, aber es macht Zeit auch sichtbar und würdigt damit auch Schicksale. Der zweite Grund war die Besonderheit des Stickens, das zwei Seiten sichtbar macht. So haben die gestickten Portraits der Migrantinnen und Migranten zwei Gesichter - ein Foto-realistisches auf der Vorderseite und ein emotionales Gesicht auf der Rückseite, wo die Fäden wilder verlaufen. Der rote Faden, der auf der Stirn zu sehen ist, stellt sich auf der Vorderseite wie eine Wunde oder Narbe dar, manchmal sagt man auch: Jemandem steht das Schicksal ins Gesicht geschrieben. Auf der Rückseite ist diese rote Fadenspur ein Text, nämlich der Beweggrund der Einwanderung nach Deutschland.
Frau Heuwinkel, durch Ihre Führungen durch die Ausstellung haben Sie die Reaktionen der Besucher sehr direkt erleben können. Wie sahen die aus?
Heuwinkel: Als Kunsthistorikerin hat mich die Ausstellung beeindruckt, da ich diesen Blickwinkel in seinem Umfang und in seinen verschiedenen Facetten und Perspektiven so bisher noch nicht erlebt habe. Und dass hier renommierte und international bekannte Kunstschaffende neben weniger bekannten und marginalisierten stehen.
Tatsächlich macht sie vieles sichtbar. In diese Richtung zielte auch der Kommentar zweier Besucherinnen. Nach der Führung räumten sie ein, dass man aufmerksamer sein müsse, um ausgegrenzte Menschen in der Gesellschaft wahrzunehmen. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass der Künstler Harald Birck in einem Video zur Ausstellung sagt, dass manche Menschen die Meinung verträten, in ihrer Stadt gebe es keine obdachlosen Menschen. Auch mich selbst und viele Besucher hat diese Feststellung darüber nachdenken lassen, dass es einen Unterschied zwischen wohnungslos und obdachlos gibt.
Frau Loew, es gab in den 1980er Jahren schon einmal Bestrebungen, Ausgrenzung mit den Mitteln der Kunst zu trotzen. Einige der damals entstandenen Arbeiten sind ja auch Teil der aktuellen Werkschau. Was hat sich aus Ihrer Sicht seit damals verändert? Oder vielleicht auch nicht?
Loew: Bedauerlicher Weise beobachten wir auf der ganzen Welt wieder ein Erstarken rechter, autoritärer, nationalistischer Kräfte und man dachte doch, die Menschen hätten aus den beiden Weltkriegen etwas gelernt!? Dass wir mit Hass, Ausgrenzung, Respektlosigkeit und Rassismen nicht weiterkommen, sollte jedem offensichtlich sein, ist es aber nicht. Ich finde es psychologisch und soziologisch ein erschreckendes Phänomen, dass Menschen Politiker wählen, die andere Menschen abwerten, beleidigen und mit Häme belegen. Es zeigt, dass wir uns um unsere Demokratie kümmern müssen. Sie ist leider keine Selbstverständlichkeit.
Ist Kunst in diesem Zusammenhang und überhaupt ein adäquates Mittel, um solchen sozialen und gesellschaftlichen Entwicklungen zu trotzen?
Loew: Kunst kann Menschen auf anderen Ebenen berühren, bildet nicht einfach ab, sondern macht eine tiefere Ebene sichtbar (Paul Klee). Ich finde es immer wieder toll, wenn Schulklassen kommen, sich im Unterricht mit dem Thema auseinandergesetzt haben und dann in so einer Ausstellung auf vielfältige Weise angeregt oder auch provoziert werden und im besten Fall eigene Haltungen und Werte reflektieren.
Die Ausstellung war, wie Sie bereits berichtet haben, bis zuletzt gut besucht. Werten Sie das als Erfolg nicht nur im Hinblick auf die Sensibilisierung für das Thema Ausgrenzung, sondern auch für die Kunst selbst? Und vielleicht am allermeisten für die Verbindung von beidem?
Heuwinkel: Die wichtigste Erkenntnis, die ich durch die Ausstellung gewonnen habe, ist, dass es nicht relevant ist, ob und was eine Künstlerin oder ein Künstler studiert hat, ob sie oder er ein Handicap hat oder nicht. Tatsächlich sollte es darauf nicht ankommen. Die Gleichstellung von Künstlerinnen und Künstlern ganz unterschiedlicher Herkunft, Ausbildung, Erfahrung und Lebenswelt finde ich wichtig.
Kollegen wie Klaus Staeck oder auch Felix Droese haben immer die zu große Nähe der Kunst zum Markt bzw. des Marktes zur Kunst bemängelt. Passt das Thema Ausgrenzung demnach auch auf die Kunst selbst – getreu dem Motto: Das Luxusgut Kunst muss man sich leisten können?
Loew: Diese Ausstellung kommt nicht eitel daher, es geht nicht um Verkäufe und nur große Namen, sondern um Inhalte. Mit einer professionellen Präsentation und Vermittlung wird hier gepunktet und so Kunst für alle zugänglich gemacht. Wenn eine Stadt dafür kein Geld mehr ausgeben würde, wäre es arm um sie bestellt. Aber Husum hat sich diese Ausstellung geleistet und es freut mich, dass die Besucherinnen das auch zu würdigen wissen.
Heuwinkel: Mir hat die Ausstellung ermöglicht, mich mit der Lebenssituation von obdachlosen Menschen zu beschäftigen und von Menschen, die aus verschiedenen Gründen am Rande der Gesellschaft stehen. Ich sehe es so wie Mischa Kuball, der sagt, dass man auf gesellschaftliche Probleme hinweisen müsse, wohlwissend, dass Kunst unsere Probleme nicht lösen könne. „Aber man kann diese Probleme so zeigen, dass man sie nicht mehr ignorieren kann.“
Foto: © Daniel Penschuck [FEINDESIGN]