Ludowika Huber - Hommage an Louis Soutter
Kein Ende in Sicht
Auch 80 Jahre nach seinem Tod sind die Fingerzeichnungen von Louis Soutter ungebrochen aktuell. Aufwühlend wirkten sie auf mich, als ich sie zum ersten Mal sah, wie Spiegel innerer und äußerer Nöte – Weltenschreie. Mit den Fingern als Werkzeug malte, druckte Soutter obsessiv tanzende, zuckende Schattengestalten, benutzte christliche Symbole, gab dem Schmerz eine Stimme und berührte Menschheitsfragen – zeitlos, universell und heutig zugleich.
Viele Zeichnungen seiner letzten Schaffensphase von 1937 bis 1942 sind wie Vorboten für die Schrecken des Krieges: Wie ein Seismograph nimmt der hellwache Pazifist und Anti-Faschist Erschütterungen vor ihrem Eintreffen wahr. Katastrophe, Vor dem Massaker, Die Sonne verdunkelt sich am 1. September 1939, Vampir, das ist der Krieg, steht auf Zeichnungen.
Zu Lebzeiten fand der Maler kaum Anerkennung, nur einige Künstler schätzten sein Werk. Seine Familie entmündigte ihn mit 52 Jahren und schob ihn ab ins Altersasyl im waadtländischen Ballaigues, wo strenge religiöse Sitten herrschten. Sein Verhalten galt dort als bizarr, fertige Zeichnungen wurden gelegentlich zum Anheizen benutzt. Er stirbt vereinsamt und arm, erst 20 Jahre später wird seine Bedeutung erkannt. Heute zählt er in der Schweiz zu den großen Malern des 20. Jahrhunderts. In Deutschland ist er kaum bekannt.
Die Hommage für den Ausnahmekünstler Louis Soutter soll seine Fingerzeichnungen in den Blick rücken. In meinen beiden NachDenkbildern überlagern Schattengestalten aus drei Fingerzeichnungen Ereignisse nach Soutters Tod. Die Gestalten stehen in Beziehung zu historischen und aktuellen Fotografien, zu Schlagzeilen, Fakten über Konflikte und Kriege, Flucht und Katastrophen, kurz zu Ereignissen, die von Soutters Ahnungen künden.
Kriege haben nach 1945 nicht aufgehört, ihre Ausweitung ist traurige Wirklichkeit: Nie wieder! Die Ziele des Buchenwald-Schwurs haben sich nicht erfüllt. Da Kriege im Geist der Menschen entstehen, muss auch der Frieden im Geist der Menschen verankert werden, heißt es in der UNESCO-Präambel. Was können Bilder dabei bewirken? Was muss in unseren Köpfen passieren, dass die Welt friedlicher und das Tötungstabu ernstgenommen wird?
Ludowika Huber
Ludowika Huber, *1951 Worms, lebt seit 1970 in München. In ihren Bildern, Texten, Gedichten und Projekten stehen Fragen des Menschseins und gesellschaftliche Aspekte im Mittelpunkt; Themen wie Zuhören und Erzählen, Dialog und Toleranz, Begegnung zwischen Menschen und ihren Kulturen und Initiativen gegen das Vergessen.
www.ludowika.de